Donnerstag, 17. September 2015

Dem Radfahrer nimmt man die Vorfahrt, er wird nicht "übersehen"!

Seit einiger Zeit verfolge ich regelmäßig den FahrradBlog von Christine Lehmann. Heute geht es bei ihr um die "Stigmatisierung der Opfer": Der Radfahrer ist aus der Sicht der Autofahrer das personifizierte Böse, er gehört nicht zu ihnen, weil er einfach anders ist...

Ihr Blog-Eintrag vom 17.09.2015:

"Ich sehe nichts, was ich nicht sehe



In Polizeiberichten heißt es immer "der Autofahrer übersah den Radfahrer". Aber der Radfahrer wird nicht sichtbarer, wenn er eine Warnweste und Reflektoren trägt. Das zeigen Untersuchungen. 
Der ADFC Hanmburg hat einen Artikel über die Psychologie des Übersehens geschrieben. In Großbritannien trägt der Radler (meist jung und sportlich) leuchtende Warnwesten und wird trotzdem umgefahren. Auf die Unfallstatistik wirken sich Warnwesten nicht aus. Dr. Ian Garrard von der Brunel Universität London ist selber monatelang in sieben verschiedenen Kleidungen durch London geradelt. Egal wie alarmierend er angezogen war, er wurde mit durchschnittlich 1,18 Meter Abstand (1.50 sollten es mindestens sein) überholt. Nur als die Weste nach Polizei aussah und eine Kameraüberwachung angedroht wurde, hielten die Autofahrer mehr Sicherheitsabstand.
Eine andere Studie hat untersucht, was Autofahrer eigentlich sehen. Die Versicherungsgesellschaft Direct Line hat die Augenbewegungen von Autofahrern aufgezeichnet. Dabei zeigte sich, Autofahrer übersahen nur 4 Prozent der Fußgänger, aber 22 Prozent der Radfahrer. Fußgänger werden um so früher wahrgenommen, je mehr der Autofahrer damit rechnet, dass sie da sind.
Offenbar sind Autofahrer sehr viel mehr darauf getrimmt, Fußgänger zu sehen, damit sie sie nicht anfahren. Während sie nicht mit Radfahrer rechnen und sie auch als für sich gar nicht bedrohlich wahrnehmen. Sie fürchten sich nicht, sie anzufahren. Wobei kein Autofahrer einen Radfahrer anfahren will, er oder sie scheint  nur nicht damit zu rechnen, dass das passieren könnte.
Der ADFC-Artikel hat auch noch auf eine Untersuchung des Transport Research Laboratory der Universität Strathclyde geschaut. Das hat festgestellt, dass Autofahrer/innen selbst kleinste Vergehen von Radfahrer/innen anprangern und sich darüber aufregen, während sie über grobe Fehler ihrer Kollegen am Lenker anderer Autos großzügig hinwegsehen. Das sind die der eigenen Gruppe, von denen man annimmt, dass sie wie man selbst gute Gründe für ihr Verhalten haben. Radfahrer gehören dagegen zu den anderen, denen man Rücksichtslosigkeit oder böse Absicht unterstellt. Auch weil man keine Ahnung hat, in welcher Situation sich der Radler befindet und aus welchen ebenfalls guten Gründen er sich so verhält wie er sich verhält. Da wird der Radler zum Feind, weil er den Autofahrer zum Abbremsen zwingt, obgleich er sich völlig regelkonform verhält.
Die Autogesellschaft neigt, um sich selbst zu entlasten, dazu, den Radfahrern die Schuld oder Mitschuld an einem Unfall zu geben. Man nennt das Stigmatisierung der Opfer. Die Polizeisprache hilft mit, indem sie den Autofahrer den Radler "übersehen" lässt, statt die Formulierung zu wählen "der Autofahrer hat den Radfahrer die Vorfahrt genommen." Daher kommt der Ruf nach Schutzwesten.
Den Radfahrer schützen aber weder Warnwesten, noch Blinkleuchten davor, vom Autofahrer nicht beachtet zu werden.Sicherheit für den Radler entsteht erst, wenn viele Radler unterwegs sind. Dann sinkt das Risiko für den Einzelnen, Opfer eines Unfalls zu werden."


Quelle: http://dasfahrradblog.blogspot.de/

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